Sag’ mir, wie du aufsteigst, und ich sage dir, wer du bist. Eine Typologie des Alpenwanderers.
Das Schmunzeln beim Lesen nicht vergessen!
Text: Andreas Lesti
Illustrationen: Patrick Bonato
“The tourist is the other fellow.” – Evelyn Waugh
1. Der Erhabenheits-Styler
So, wie sich das Matterhorn vom Prenzlberg unterscheidet, treten auch Bergwanderer in höchst unterschiedlichen Formen auf. Da wäre zunächst ein Typus, der aus großen Städten kommt und mit dem Zug nach Bad Gastein fährt. Dort spaziert er in Jeans, Moncler-Jacke und Sneakern auf den Berg (nachdem er mit dem Sessellift bis fast zum Gipfel gefahren ist), geht in die Hütte und ist fasziniert von der Nachhaltigkeit der Holundersaftschorle und dem “total intensiven Geschmack” der Spinatknödel. Er beziehungsweise sie trifft sich mit gleichgesinnten Vollbartträgern und Retrobrillenträgerinnen in ausgewählten Berghotels, um dort gemeinsam elektronische Musik zu hören und über Michel Houellebecq oder Anne Imhof zu diskutieren.
Doch die Berge sind für Erhabenheits-Styler ein unechtes Gebilde, so stilisiert, wie sie in den Lifestyle-Simulations-Magazinen abgebildet sind, die sie im Rollkoffer mit dabeihaben. Damit reaktivieren sie einen Begriff aus dem 19. Jahrhundert: die Erhabenheit. Auch damals kamen empfindsame, hypochondrisch-romantische Alpentouristen aus den Städten, um auf einer Aussichtsterrasse in die gähnende Tiefe zu schauen, den Handrücken an die Stirn zu halten und dann, aahhh, beinahe in Ohnmacht zu fallen. So ähnlich ist es auch heute bei den Erhabenheits-Stylern, deren Touren ungefähr so gefährlich sind wie das Betrachten eines Landschaftsgemäldes. Tatsächlich auf Berge zu steigen, nein, das könnte Gefahr, Kälte, Anstrengung und andere nicht auszudenkende Unannehmlichkeiten mit sich bringen.
2. Der Outdoor-Purist
Der Outdoor-Purist ignoriert das neue Jahrtausend erfolgreich, indem er Nickelbrille, Che-Guevara-T-Shirt und die orangefarbene Thinkpink-Hose vollkommen frei von Retro-Allüren trägt. Er meint das genauso unironisch wie das Fernglas, den Kompass und die topographische Wanderkarte – und das spricht für ihn. Seine Meindl-Bergschuhe sind zwar wenig getragen (weil er die Teva-Sandale vorzieht), aber trotzdem 20 Jahre alt, was heißt, dass das Material so porös geworden ist, dass sich mindestens eine der beiden Sohlen in Teilen vom Schuh ablöst – und bald ganz abfallen wird. Doch einen neuen Schuh zu kaufen wäre teuer und nicht nachhaltig.
Berg- und Wanderführer kennen das Phänomen und haben daher immer Kabelbinder dabei. Doch der Outdoor-Purist lässt sich auf den Berg ein und kann – im Gegensatz zum Erhabenheits-Styler und Instagram-Wanderer – mit Gaskochern, Karabinern, Steigeisen und Wetterstürzen umgehen. Er schafft es auch in Orten wie St. Anton, St. Moritz und Chamonix, die Wertschöpfung zu unterlaufen, indem er so tut, als wären all die schönen Hotels, Restaurants und Bergbahnen gar nicht da.
3. Der Instagram-Wanderer
Ein neuer Typus, den man am Smartphone, am Smartphone und am Smartphone erkennt – und vielleicht noch am Herschel-Rucksack, der Fjällräven-Jacke, den Doc Martens und der seitlich über die Ohren gerollten Wollmütze. Die gängigen Outdoor-Klamotten lehnt er beziehungsweise sehr oft auch sie aus Gründen des Distinktionsgewinns ab. Instagram-Wanderer buchen nicht (weil buchen total uncool ist), suchen sich spontan über Airbnb eine Bleibe und wandern dann ohne Führer auf den Gipfel. Oder an irgendwelche nicht so ganz nachvollziehbare Orte im Gebirge. Ihre Reise durch die Alpen ist nämlich eine Like-Jagd nach unentdeckten Most-hidden-Instagramer-Places, während der einzig und allein die “Postbarkeit” zählt.
Die Höhenluft? Die Aussicht? Das Erlebnis? Die Realität? Pah! Und nachdem sie Fotos vom Wasserfall gepostet haben, beschweren sie sich darüber, wie voll es in den Bergen ist. Nur: Sollte einmal ein Gewitter aufziehen oder es sonst irgendwie ungemütlich werden, dann sollten sich Instagram-Wanderer schleunigst mit den Erhabenheits-Stylern zusammentun und unverzüglich die Bergrettung rufen.
4. Das Original
Gibt es auch noch und trägt Kniebundhosen, das von Fredl Fesl als “rot-weiß karierte Uniform” bezeichnete Hemd, Wanderstöcke mit Abzeichen und fährt erst dann mit einer Bergbahn,wenn der Termin für die Knie-OP schon vereinbart ist.
Während der Outdoor-Purist in den 1990ern lebt, ist das Original in den 1970ern stehengeblieben, und das einzige Zugeständnis an die Gegenwart besteht darin, dass er seinen VW-Käfer gegen einen VW-Golf getauscht hat. Nachdem das Original etwas in die Jahre gekommen ist, verzerrt sein Selbstbild sein Fitnessvermögen. Oder anders gesagt: Er quält sich mit hochrotem Kopf Richtung Gipfelkreuz und Herz-Rhythmus-Störung. Er fährt seit Jahrzehnten in den gleichen Ort, hat wenig Verständnis für Veränderungen, und Erhabenheits-Styler und Instagram-Wanderer sind ihm so suspekt wie eine Designhütte.
Doch wer einen Zugang zu ihm findet, wird sich gut mit ihm unterhalten, viel über die Geschichten der Berge erfahren und am Ende auf einer sehr schlichten und urigen Hütte einen Enzian mit ihm trinken.
5. Der Luxus-Alpinist
Ein erfolgreicher, braungebrannter Steuerberater, Arzt oder Anwalt aus München, Stuttgart, Frankfurt oder Hamburg, der im Audi Q7 oder Porsche Cayenne nach Kitzbühel, Sils Maria oder Elmau fährt. Er hat schon alles gesehen und vergleicht die Alpen gerne mit den Rockies, den Anden oder dem Himalaja. Das hört sich dann so an: “Ist ja ganz schön, dieser neue Klettersteig, aber nicht zu vergleichen mit dem Ajax Peak in Telluride.”
Das kann anstrengend sein, aber man muss zugeben: Der Luxus-Alpinist kennt sich aus in namhaften Bergregionen, ist versiert, schwindelfrei und so fit, dass er in seiner Peak-Perfomance-Ausrüstung abends noch schnell über den Gletscher zur Hütte springt, ähnlich “competitive”, wie er im Job Überstunden macht. Doch viel schlimmer ist der Trittbrett-Luxus-Alpinist: auch ein Wichtigtuer mit sündhaft teurer “Ultra light”- Daunenjacke, der allerdings von den Bergen nicht den Hauch einer Ahnung hat.
6. Der Gipfelstürmer
Der Fitnessstudiobesucher unter den Wanderern trägt minimalistische Hightech-Klamotten zu maximalen Preisen, eigenwillige Trinkflaschen wie Munitionsgürtel um die Hüfte, und wenn er verschwitzt am Gipfel ankommt, kehrt er, ohne die Aussicht auch nur eines Blickes zu würdigen, sofort wieder um. Das heißt, nein, davor blickt er noch auf seine Funktionsuhr, um Zeit, Höhenmeter und Pulsfrequenz zu checken, und stellt die Daten über das am Oberarm angebrachte Smartphone bei Strava als neue Challenge ein.
Er hat also ähnlich wenig Interesse an der Schönheit der Berge wie der Instagram-Wanderer. Ihm geht es aber nicht um postbare Fotos, sondern um seine Leistung. Er ist eine austrainierte, selbstoptimierte Hochleistungsmaschine, und genau das ist das große Missverständnis. Denn in den Bergen braucht es immer eine Reserve, die der marathonausgezehrte Gipfelstürmer nicht hat. Und deswegen ist er bei längeren Touren und schwierigen Verhältnissen oft der Erste, der mit Muskelbeschwerden oder Erkältungsanflügen aufgibt wie ein tiefergelegter Sportwagen im Gelände.
7. Der Einheimische
Kantig und grantig, wie er ist, entzieht sich der Einheimische allen gängigen Klischees. Und dennoch wird man ihn schnell erkennen: Denn er spricht in einem Dialekt, der mehr an eine knarzende Türe als an eine Sprache erinnert. Das heißt, er wird von Fremden grundsätzlich nicht verstanden, auch nicht, wenn sie etwas von ihm wollen. Zum Beispiel wie der Berg am westlichen Horizont heißt. “Da welchana?”, fragt er dann zurück, also “Welcher denn?” Woraufhin der Fragende sich bedankt und zu seiner Frau wendet: “Schatz, das ist der Welchana.”
Aber würde man ihn verstehen, dann würde man feststellen, dass er mit seinem exklusiven Hoheitswissen prahlt, er immer Gipfel, Hütten und Aussichtsplätze kennt, von denen Touristen noch nie gehört haben – und dass dort immer “gestern” irgendetwas Außergewöhnliches stattgefunden hat. Und dann gibt es noch den “Möchtegern-Local”, einen Zugereisten, der seit Jahren in den Bergen lebt und behauptet, sie verstanden zu haben. “Da kommen welche daher”, sagt Kabarettist Gerhard Polt, “die behaupten frech, sie wären mir.” Um dabei glaubwürdig zu sein, hat er Unfreundlichkeit und Unverständlichkeit des Einheimischen übernommen. Nur: All das bricht wie ein Felssturz in sich zusammen, wenn der Möchtegern-Local auf einen echten Einheimischen trifft.
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