Ein Reisebericht von Philipp Halmanns
Der Kosovo und Albanien – sie gelten als zwei der ärmsten Staaten des europäischen Kontinents. Aber was heißt schon arm? Dass vielmehr als das reine Geld zählt und was es heißt Gemeinschaft und Zusammenhalt zu (er)leben, durfte ich bei meinem Skitouren-Abenteuer in Albanien Anfang des Jahres 2020 erfahren. Viel Spaß beim Lesen all meiner Erfahrungen in diesem Reisebericht.
▪ Gastfreundschaft pur – Ankunft in Kosovos Hauptstadt Pristina
▪ Tag 1: Start der Gruppenreise – erste Eindrücke in Prevalla
▪ Tag 2: Erster Tourentag im Skigebiet Brezovica
▪ Tag 3: Unterwegs im Sharr-Gebirge mit Charly
▪ Tag 4: Sturm sorgt für Planänderung
▪ Tag 5: Fahrt im 4×4, Urban Skiing & Apres Ski
▪ Tag 6: Zeit für Plan B – statt dem Tal noch ein Gipfel
▪ Tag 7: Queen Korab – ein wahrlich erhabenes Highlight zum Schluss
Gastfreundschaft pur – Ankunft in Kosovos Hauptstadt Pristina
Jung, dynamisch, innovativ! So lässt sich in meinen Augen die Hauptstadt des erst 2008 von Serbien losgelösten Landes am besten beschreiben. Kaum vorzustellen, dass hier bis 1999 noch Krieg herrschte! Ein Grund, der jedoch dafür gesorgt hat, dass über die Hälfte der Menschen im Land 30 Jahre oder jünger sind. Der Lebendigkeit und Gastfreundlichkeit der überwiegend albanisch Bevölkerung hat dies jedoch nicht geschadet – im Gegenteil.
Junge Generation sorgt für Energie
Wir reisen ein paar Tage vor dem Start unserer Gruppenreise an, um einen Studienfreund meiner Freundin zu besuchen. Zu Beginn stehen wir am Flughafen nur mit unserem Skisack da. Dass das restliche Gepäck erst über 24 Stunden später durch den hilfsbereiten Kellner im Restaurant unter unserer Wohnung in Empfang genommen wird, wird schnell zur Nebensache. Hautnah erfahren wir sogleich die pulsierende Energie und Leidenschaft der Einheimischen. Man spürt förmlich den Drang der jungen Generation, Neues „aufzusaugen“ und sich eine eigene Identität aufzubauen.
Tag 1: Start der Gruppenreise – erste Eindrücke in Prevalla
Nach einem erholsamen Start fahren wir zurück zum Flughafen. Im T-Shirt (!) lernen wir unsere 9 Mann und Frau starke Gruppe bestehend aus 4 Mitreisenden, unserem Guide Wolfi sowie unseren lokalen Guide Deni samt Fahrer „Duki“ kennen. Dass wir in den kommenden Tagen nicht Gebrauch von unseren spontan eingepackten Wanderschuhen machen müssen, ist bei dem Wetter kaum vorstellbar. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zu Letzt.
Angekommen am ersten Ziel unserer Reise, dem kleinen Ort Prevalla am Fuße des Sharr Gebirges, kommen unsere Wanderschuhe schneller zum Einsatz als gedacht. Die letzten paar hundert Meter werden zur Unterkunft „gewandert“, da unser Bus im Verkehrschaos hoffnungslos stecken geblieben ist. Der Grund: Viele Einheimische nutzen den ersten frisch gefallenen Schnee des Jahres für einen Sonntagsausflug. Ein wahrlich faszinierendes Spektakel aus improvisierten Rodelverleih, Selfie-Makern, Winter-Grillern und vielem mehr. Dass der Ort am nächsten Tag wieder wie ausgestorben und wir die einzigen Gäste im Hotel sein würden, konnte sich bei diesem Empfang keiner von uns vorstellen. Willkommen im puren Abenteuer Kosovos!
Tag 2: Erster Tourentag im Skigebiet Brezovica
Am Vortag wurde bereits eine kleine Erkundungstour zum Prevalla Rock unternommen. Heute steht unsere erste Skitour am Plan. Vorbei an den in die Jahre gekommenen Liftanlagen Brezovicas, dem größten Skigebiet des Landes, und entlang von kreativen Pistenbegrenzungen, erreichen wir bei stürmischem Wind den Berofe auf 2.300 m. Wir fahren in das Durloc Tal ab, steigen noch einmal 250 Höhenmeter auf und folgen anschließend dem idyllischen Bachlauf zurück zum Parkplatz.
Sonnengenuss oder Wiederholungsbedarf
Ein Teil der Gruppe macht sich bei Sonnenschein und Bier inmitten einer Mischung aus Freeridern und albanischen Skitouristen gemütlich. Der Rest lässt sich eine tuckernde Liftfahrt für nur 3 Euro nicht nehmen, um die Tour zu wiederholen. Fast spannender als die Abfahrt selbst, ist zu beobachten, wie die einheimischen Gäste in Lederjacke, Sneakers und mit laufender Handykamera im Lift sitzen und voller Begeisterung hoch und wieder runterliften. Irgendwie schräg und zeitgleich super sympathisch.
Tag 3: Unterwegs im Sharr-Gebirge mit Charly
Heute starten wir gemütlich in den Tag, denn direkt vom Hotel aus steigen wir in unsere Tourenski und machen uns auf den Weg die knapp 1.000 Höhenmeter rauf zum Konjuska Peak auf 2.571 m zu bewältigen. Begleitet von ständigem Wind und einem nimmermüden Straßenhund, den wir kurzerhand Charly taufen, erreichen wir den Grenzgipfel.
Eindrücke verarbeiten beim Abendessen
Mit einem endlosen Blick über Mazedonien auf der einen und dem Kosovo auf der anderen Seite werden wir belohnt. Auch wenn der Schnee schon etwas schwer und harschig ist, die Abfahrt mit Blick auf die braun gebliebenen Gebirgszüge vor uns ist ein toller Kontrast. Zurück im Hotel werden wir dann wieder mit einem ausgiebigen und gemeinsam geteilten Abendessen aus Ziegenkäse, Ajvar, eingelegten Paprika, ganz vielen Fleischsorten und vielem mehr verwöhnt.
Tag 4: Sturm sorgt für Planänderung
Als wir am Morgen aufwachen, müssen wir unsere Augen zweimal reiben. Das am Vortag bereits angedeutete Tief aus dem Mittelmeerraum hat über Nacht seine volle Kraft entwickelt und uns wortwörtlich eingeschneit. Eine Skitour bei diesen Verhältnissen? Fraglich. Dennoch wagen wir uns raus in die klirrende Kälte, um Richtung Prevalla Rock auf 2.050 m aufzusteigen. Vergeblich bei Schneeböen um die 60 km/h. Mit eiskalten Händen kehren wir kurz vor dem Gipfel um und ziehen wenigstens ein paar frische Lines in den Schnee. Umso mehr freuen wir uns auf den lodernden Kamin und eine Tasse Chai im Hotel.
Freie Fahrt nach Dragash
Den restlichen Tag verbringen wir mit Kartenspielen und helfen die letzten Meter der Straße freizuschaufeln. Nach einem kurzen Telefonat unseres Guides Deni mit dem Verkehrsminister, erhalten wir das Go! Alle Straßen zu unserem nächsten Etappenziel sind frei. Für einen kurzen Zwischenstopp in der schönen Altstadt Prizren und den süßen Verführungen in Form von Bananen-Schoko-Kuchen, Baklava oder Kadaif bleibt auch noch Zeit. In der Dunkelheit erreichen wir Dragash, dem Zentrum der Goranen, einer eigenständigen stark muslimisch geprägten Volksgruppe. Bier gibt es vor Ort entsprechend keines, dafür aber ein unglaublich geschmackvolles Halal-Abendessen.
Tag 5: Fahrt im 4×4, Urban Skiing & Apres Ski
Unserem Minibus geben wir heute nochmal einen Tag Ruhe, denn Deni hatte kurzerhand unseren Hotelchef Ismael überzeugt, uns mit seinem 4×4 inklusive Schneeschieber ins 4,5 km entfernte Bergdorf Radeshë zu bringen. Heute steht der Berg Maja auf dem Plan. Nach einem Kilometer Fahrt ist aber bereits Schluss. Wir überqueren die meterhohe Schneeverwehung mit unseren Tourenski. Aufgrund des noch zu starken Sturms, erreichen wir den Gipfel leider nicht. Der heutige Tag wird uns aber allen noch lange in Erinnerung bleiben – Denn wer kann schon von sich behaupten im Tiefschnee, vorbei an den überraschten Bewohnern durch ihr Dorf gestapft zu sein, um wenige Stunden später auf Skiern wieder hindurch zu fahren?
Mit den Skiern bis vor die Haustür
Da auf dem Rückweg die Serpentinenstraße immer noch nicht vom Schnee befreit ist, fahren wir vorbei an Leitplanken den kompletten Weg zurück nach Dragash bis vor die Tür unseres Hotels. Die gegenüberliegende Bar wird spontan zur „Apres Ski Bar“ umfunktioniert. Sonnenstrahlen genießen und wieder mal sind nicht wir diejenigen, die zuerst ihre Handykameras zücken, sondern die vollauf begeisterten Einheimischen selbst.
Tag 6: Zeit für Plan B – statt dem Tal noch ein Gipfel
Ursprünglich stand für heute das Valbona Tal auf dem Plan. Doch aufgrund der unzureichenden Schneeverhältnisse und in Absprache mit der gesamten Gruppe, disponieren wir um und bleiben noch einen Tag länger in der Gegend. Für den Abend planen wir den Grenzübergang nach Albanien ins Bergdorf Radomirë. Zunächst aber starten wir heute fast schon gewohnt durch die schneebedeckten Gassen des Ort Brods. Wenige Stunden später, Ankunft am dritten Gipfel unserer Skitourenwoche, den Kachina Glava auf 2.207 m. Immer wenn die Wolken den Blick aufs Seitental freigeben, bietet sich ein atemberaubender Blick auf eine für uns unwirklich erscheinende Landschaft. Sie erinnert teilweise eher an Reisterrassen und man hat das Gefühl in einer anderen Welt unterwegs zu sein.
Schneereichtum verlangt Geduld
Zurück in Dragash, packen wir schnell unsere Sachen. Aufgrund der noch immer bescheidenen Straßenverhältnisse, benötigen wir fast doppelt so lang für die heutige Fahrtstrecke über die Grenze. Mit einem magischen Sonnenuntergang über Prizren und einer Anschubhilfe inklusive einer kleinen „Driftfahrt“ am letzten Anstieg später, erreichen wir das einfache, aber saubere Gästehaus für die heutige Nacht.
Tag 7: Queen Korab – ein wahrlich erhabenes Highlight zum Schluss
Die Nacht war kalt und sich aus den zwei Wolldecken in die Skischuhe zu zwängen, fällt schwer. Der warme Holzofen und die heiße Schoki helfen um gegen 8 Uhr die Felle aufzuziehen und in gewohnter Manier durch den von Wolfi frisch gespurten Schnee aufzusteigen. Ski für Ski und Meter für Meter Richtung Gipfel. Am Ende des Tages werden es um die 1.500 m sein, bis wir durch schneebedeckte Kiefernwälder, über gefrorene Flussläufe und in ständiger Begleitung der wärmenden Sonne und des klaren Himmels die 2.764 m des Berg Korabs zu erreichen – Der höchste Berg Albaniens und Mazedoniens! Mit Sicherheit die schönste Tour der gesamten Woche. Schweißtreibend, am Rande der körperlichen Grenzen, atemberaubend und jede einzelne Sekunde wert!
Tag 8: Abschied nehmen – Mirupafshim und Falemenderit!
Für die letzte Nacht übernachten wir in Gjakova in einem super schicken Hotel. Sich nach den Anstrengungen der letzten Tage entspannt zu erholen, fällt hier definitiv nicht schwer. Ein letztes Mal dürfen wir feinste albanische Küche und ein überschwängliches Frühstück genießen. Noch einmal ein Peja und einen Rakija trinken und der enthusiastischen albanischen Volksmusik lauschen, bevor wir wehmütig den Flieger in Richtung Heimat betreten.
Mein Fazit
Was neben all der bezaubernden Landschaft während dieser Reise heraussticht, ist vor allem die Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit der hier lebenden Menschen. Auch wenn wir teilweise keine 24 Stunden vor Ort waren, fühlt es sich wie auch beim Gasthaus in Radomirë beim Abschied so an, als wären wir schon zigmal da gewesen. Die schwierige Vergangenheit hat die Menschen zusammengeschweißt. Zudem ist die Freude über jeden Reisenden groß, der in ihre Region kommt, um einen Eindruck von ihren faszinierenden Landschaften sowie ihrer spannenden Kultur und Lebensweise zu gewinnen.
„Die Begegnungen bestimmen das Reisen, nicht das Ziel!“
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