Der Innsbruck Trek fängt dort an, wo die Stadt aufhört. Er ist ein Weg für alle, auch für jene, die Bequemlichkeit und Berg nicht mehr als Widerspruch verstehen. Er ist der perfekte Einstieg ins Mehrtageswandern und doch alpin genug, dass man sich nur mehr mit Vornamen anspricht.
Text: Axel N. Halbhuber, Journalist beim KURIER
Bilderrechte: Innsbruck Tourismus / Christian Vorhofer
Neuer Blickwinkel
Der Gipfel des Faltegartenköpfl ist gemütlich, sowohl was den Aufstieg angeht als auch zum Verweilen. Trotzdem bemüht sich Wanderführer Wolfgang, in sein tieffreundliches Gesicht eine kleine Sorgenfalte zu legen, als er sagt: „Aber beim Runtergehen passts ihr mir auf.“ Zugegeben, der Pfad bergab ist steil und bietet genug Brocken und Latschenwurzeln, um hängen zu bleiben, aber ein einfacher Weg bleibt ein einfacher Weg. Jaja, sagt Wolfgang mit der Gelassenheit des Alters, er habe schon Menschen genau bei solchen Abstiegen stürzen sehen. Wolfgang ist deutlich über 70 Jahre alt und Tiroler, er war früher bei der Polizei und auf 8000ern. Er heißt auch noch Wippler, aber Nachnamen braucht man auf einem Berg nicht, nicht einmal, wenn der Berg nur 2.184 Meter hoch ist wie das Faltengartenköpfl. Und nicht einmal, wenn man direkt ins Tal sieht wie hier.
Eine gute halbe Stunde später erreicht Wolfgangs Gruppe die Feldringalm unversehrt. Es ist einer jener gemütlichen Plätze, die es in den vielfältigen Bergen rund um Innsbruck so oft gibt. Die Gegend ist gespickt mit Almen und Hütten, von deren Terrassen man ins Tal blickt, den Alltag vorbeiziehen sieht wie bei einer Modelleisenbahn, nur dass man keine Hebel bedienen und Knöpfe drücken muss. Ein Ort, wo Wolfgang seine Geschichten erzählt, wenn es die Gruppe verlangt. Geschichten aus dem langen Leben eines Bergsteigers, von Rettungsaktionen auf dem Mount McKinley bis zu Besteigungen all der Tiroler Gipfel, die man von hier oben sieht. Wolfgang war schon dabei, als ASI Reisen 1963 in Innsbruck gegründet wurde, und ist jetzt einer der Guides, die Gäste über den neuen Innsbruck Trek begleiten. In sechs Tagesetappen können Bergbegeisterte dabei Wege rund um die Tiroler Landeshauptstadt erwandern – auf leichten oder mittelschwierigen Wegen, geführt oder auf eigene Faust, immer mit Gepäckstransport und untergebracht in Hotels.
Faszination Weitwandern
Der neue Trek passt damit perfekt in die Zeit. Obwohl Wandern keine Wissenschaft ist, wird es doch regelmäßig neu erfunden. Trends kommen, die meisten gehen auch wieder, aber zwei haben sich durchgesetzt: Erstens wollen Menschen zunehmend Städte und ihre nähere Umgebung erwandern. Zweitens ist da das Weitwandern. Diese ungebrochene Faszination hat sich aus vielen Zutaten genährt, auch durch die Pilgerwege, Heiliger Jakob und Santiago, kennt man ja. Aber nicht nur. Es steckt mehr dahinter und wer einmal das übliche Rauf und Runter einer Tagestour gegen das lineare Weiterkommen getauscht hat, erkennt eine neue Qualität des Berges: Auf dem Weg zu sein, tut der Seele gut. Oben hat man den Fernblick und der schlägt die Talsohle. Beharrlich in eine Richtung gehen, das Ziel immer vorne, im Rücken nur das Vergangene. Nach ein paar Tagen wird die erlebte Weite messbar, in Kilometern und Stunden nimmt sie Gestalt an. Das überwältigt die Menschen im Zeitalter der digitalen Werke, wo wir nach zehn Stunden im Büro gar nicht sagen können, was wir eigentlich konkret erledigt haben. Ein vollbrachter Weg ist da ein unglaublich gutes Gefühl. Er ist das Werkstück, das wir betrachten können, das Projekt, das sichtbar hinter uns liegt.
Weg für alle
Viele dieser Weitwanderwege verlaufen in der Höhe und sind für Gelegenheitswanderer sehr fordernd. Auf dem Berg ist gar nichts einfach, selbst oben geht es rauf und runter, die berüchtigten „versteckten Höhenmeter“. Tourismusverbände vergessen beim Werbetrommeln gelegentlich darauf hinzuweisen, dass eine Achtstundenetappe mit ausgesetzten Stellen eben doch nichts für Wandernovizen ist oder zumindest Respekt erfordert. Auch mangelt es manchen Weitwanderwegen an der passenden Infrastruktur, was Busverbindungen zwischen Start und Ziel betrifft oder genug Schlafplätze auf den Hütten – besonders, wenn der Geheimtipp plötzlich boomt.
Der Innsbruck Trek ist anders. Seine Erfinder, der Innsbrucker Tourismusverband und ASI Reisen, wollten einen Weg für alle entwickeln. Also bezieht man nach jeder Etappe Quartier im Tal, in guten bis sehr guten Hotels. Statt sich auf der Hütte nach sieben verschwitzten Gehstunden um die Jetons für zwei Minuten warme Dusche anzustellen, geht man in den Wellnessbereich oder den Pool. In der Früh stellt man das Gepäck bei der Rezeption ab und wird zum Einstieg in die nächste der sechs Wanderetappen geführt. Die liegen im weiten Bogen um Innsbruck, es werden nur die schönsten Stücke der Umgebung begangen, Weitwandern a la Carte sozusagen. Apropos Karte: Organisation und Information zur Routenführung sowie 24 Stunden-Servicenummer gibt es auch. Wenn man nicht sowieso die geführte Tour wählt. Dann hat man einen Wolfgang.
Vor- oder Nachname? Die unsichtbare Grenze
Der erzählt gerade von „der Umbrüggler“. Eigentlich heißt es „Umbrüggler Alm“, aber das sagen die Innsbrucker nicht dazu, „Alm“ ist auch nur eine Art Nachname. Wobei auf der Umbrüggler die Nachnamen vielleicht gerade noch Bedeutung haben. Sie liegt auf 1123 Meter und direkt auf der ersten Etappe des Treks – wenn man ihn von Innsbruck aus startet. Das sollte man auch tun, denn dann taucht man besonders in das Gefühl ein, das der Tourismusverband „alpin-urbanes Erlebnis“ nennt. Direkt vom berühmten Goldenen Dachl aus geht man ein Stück durch die Altstadt auf die mächtige Nordkette zu und steigt mitten in der Stadt in etwas ab, das jeder Städter als unterirdische Straßenbahnstation wahrnimmt. Erst geht es durch Tunnel, einmal hält man beim Alpenzoo – ein wunderbares Beispiel für den Doppelzustand, Wildnis wie Steinbock aber kultiviert wie Zoo. Danach entwickelt die vermeintliche Straßenbahn etwas Seilbahnhaftes, und plötzlich steht man auf der Hungerburg. Unter einem liegt Innsbruck, gegenüber die Skisprungschanze am Berg Isel, plötzlich ist man über der Stadt, noch nicht wirklich Teil des Berges, aber auch nicht mehr urban. Von da geht man los, zur Umbrüggler eben.
Diese Alm wurde erst vor kurzem neu errichtet und steht in ihrem schicken hellen Holz mit den geraden Linien da wie das Grenztor zwischen urbaner Noblesse und rauem Berg. Vor der Türe sitzen elegante Damen in elegantem Sportoutfit, weil sie rauchen. Der typische Innsbrucker mountainbiket zur Umbrüggler wie andere ins Fitnesscenter gehen und belohnt sich mit gutem Essen oder einem Glas Wein. Der Innsbruck-Trekker kommt hier in seiner Wanderwoche an, ein letzter hipper Moment an dem Ort, an dem die Nordkette zum Berg wird. Und ihm eröffnet sich sofort, was der Innsbruck Trek ist: die Stadt im Blick, die Natur in der Nase, aber auf dem Teller eine Speise statt eines Bergsteigeressens.
Die Berge haben für jeden etwas
Lange Zeit wurde Bequemlichkeit von Alpinisten und Bergmenschen mit jenem Lächeln bedacht, in dem etwas Verächtliches mitschwingt. Man war stolz auf die Kargheit des Berges und jede Abweichung davon galt als Sakrileg im wörtlichen Sinn: die Verachtung eines Heiligtums. Nur finden eben auch die Flachländer die Berge schön und ihr Andrang bedeutet ja Wertschöpfung, also arrangiert man sich zunehmend damit, dass es Menschen gibt, die gerne mehrere Tage wandern, aber nicht in einem Matratzenlager schlafen wollen. Menschen, die einem schlichten Käsebrot sehr wohl Respekt zollen, abends aber gerne vom Porzellan essen. Die Stille der Berge fantastisch finden, abends aber einen Fernseher auf dem Zimmer haben möchten.
„Die Berge haben für jeden etwas“, sagt Wolfgang dazu. Er muss niemandem etwas beweisen, das macht einen Wanderführer sympathisch, und er findet, seine Gäste müssen das auch nicht. Bei einer Rast sagt er zur Gruppe: „Jetzt gehen wir dann aber einmal ein bisschen langsamer, mehr mein Tempo.“ In allen Gesichtern ist Erleichterung zu sehen, dennoch murmeln alle, für sie passt das Tempo schon, aber natürlich, jaja gerne, für die anderen. Jede Wandergruppe braucht eine Leitkuh mit Wolfgangs Gespür, besonders auf den sportlicheren Alternativrouten des Innsbruck Treks. Jede Etappe kann als gemäßigte Wanderung (bis zu fünf Stunden) gemacht werden oder als sportlichere Alternative, dann aber mit bis zu acht Stunden Gehzeit pro Tag. So oder so wird das Gepäck transportiert, wieder etwas, das früher einer Entweihung gleichkam. Der Innsbruck Trek eröffnet bewusst jedem den Zugang zur Mehrtagestour, auch älteren Wanderern, auch Familien mit jungen Kindern, auch Genießern ohne Rekord-Ambition.
Zirbenweg am Patscherkofel: Seelenmassage auch für Einheimische
Das wird einem besonders auf der letzten Etappe bewusst. Den Zirbenweg rund um und auf den Patscherkofel nutzen selbst Einheimische als Seelenmassage. Nach den Tagen auf den Wegen im Umland, von Mieminger Plateau über Kühtai und Sellrain bis zur Axamer Lizum, ist der Trekker hier wieder hoch über Innsbruck. Während man zwischen der pittoresken Vegetation des Patscherkofels dahinspaziert, schweifen die Blicke oft auf die Stadt und auf die Nordkette, die nun auf der anderen Seite des Inntals liegt. „Wennsch genau schaust, siehst da die Umbrüggler“, sagt Wolfgang zur Gruppe, in deren Gesichtern man Stolz lesen kann. Bei der Stadt weggehen und nach einer Runde auf der anderen Seite dieser Stadt wieder ankommen – das ist die Faszination, aus der Weitwandern geschnitzt ist. Wolfgang genießt die Freude seiner Gruppe. Er setzt sich seine Sonnenbrille auf.
Und ein Grinsen.
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