Sind wir in anderen Ländern unterwegs, lernen wir immer wieder neue Kulturen kennen und stoßen auf außergewöhnliche Naturspektakel. Zu letzterem zählen auch die Feuer der Chimära – eines der beeindruckendsten Naturschauspiele in der Türkei.
Der Lykische Weg
Der Lykische Weg – türkisch „Lykia Yolu“ – gehört zu den schönsten und bekanntesten Weitwanderwegen der Türkei und folgt den alten Handelswegen des mysteriösen Volkes der Lykier. Zwischen Fethyie und Antalya gelegen verbindet der Lykische Weg 18 antike Städte entlang der türkischen Mittelmeerküste. An der östlichen Küste befindet sich der Olympos Beyaglar Nationalpark und das Örtchen Çirali. Dort brennen seit hunderten von Jahren die ewigen Feuer der Chimäre.
Yanartas – der brennende Stein
Das Naturphänomen – auf türkisch „Yanartas – der brennende Stein“ genannt – spielt sich beim Dorf Çirali etwa 70 km südwestlich von Antalya ab. Seit der Antike brennen hier Flammen, die direkt aus dem Berg züngeln. Noch in der Antike sollen die Flammen Überlieferungen zufolge weitaus höher gewesen sein und die Seefahrer, die in der Dunkelheit der Nacht unterwegs waren, sollen die lodernden Feuer am Fuße des Tahtali Dagi Berges als „natürlichen Leuchtturm“ genutzt haben. Kapitän Sir Francis Beaufort, der im Jahr 1811 vor der Südküste der Türkei segelte, erwähnte sogar in seinem Logbuch Flammen, die über einen halben Meter hoch gewesen sein sollen. Dies kann man sich gut vorstellen, wenn man auf dem Steinplateau steht und eine gute Aussicht hinunter aufs Meer hat. Heute variiert die Höhe der dauerhaft brennenden Flammen je nach Luftdruck.
Was verbirgt sich hinter den Flammen am Lykischen Weg?
Die unauslöschlichen Spuren eines Kampfes um Leben und Tod oder doch ein Spektakel der Natur?
Die Sage um das Ungeheuer von Chimäre
Überlieferungen zufolge sind es die letzten unauslöschlichen Spuren eines sagenumwobenen Kampfes um Leben und Tod. Der Dichter Homer beschrieb die Chimäre als ein dreiköpfiges Monster. Es hatte den Kopf eines Löwen, einer Ziege und einer Schlange und lebte einst in Lykien. Es verbreitete in der Region Angst und Schrecken, äscherte ganze Dörfer mit seinem feurigen Atem ein, brachte Menschen um und zerstörte die Ernte. Die Chimäre war im Königreich Lykien zur großen Plage geworden.
Einst noch ein Jüngling kam der tapfere Bellerophontes eines Tages an den Hof von Jobates, dem König von Lykien. Der König beauftragte ihn, das feuerspuckende Ungeheuer zu vernichten. Bisher war es noch keinem gelungen das Monster zu besiegen. Auch König Jobates rechnete fest damit, dass Bellerophontes scheitern und den Tod finden würde. Doch der Jüngling hatte die Göttin Athene auf seiner Seite. Sie sorgte dafür, dass Bellerophontes mit Hilfe des geflügelten Pferdes Pegasus in die Schlacht gegen die Bestie ziehen konnte. Auf Pegasus Rücken nahm der Held die Chimäre mit Pfeil und Bogen unter Beschuss. Doch ein Pfeilhagel allein tat der mächtigen Bestie nichts zu Leide. Vielmehr drohte der feurige Atem des Ungeheuers den Helden zu verbrennen. Als er der feuerspeienden Bestie so nahe kam, dass er die Hitze ihres Atems spürte, kam ihm eine großartige Idee. Das Monster war nur durch seine eigenen Kräfte zu besiegen. Somit beschaffte er sich einen Bleiklumpen und steckte diesen auf die Spitze seines Speers. Er griff die Bestie frontal an und stieß dem Ungeheuer seinen Speer in den Rachen. Der heiße Atem des Biestes schmolz das Blei. Es breitete sich im ganzen Rachenraum aus und die Bestie erstickte an dem Metallklumpen. Dort wo das sterbende Monster zu Boden fiel, sollen nun die Feuer der Chimäre – die letzten unauslöschlichen Spuren dieses Kampfes um Leben und Tod – brennen.
Hephaistos-Kult
Solche Feuererscheinungen wurden andererseits auch als sichtbare Zeichen des kunstfertigen Feuergottes Hephaistos gedeutet. Als Sohn von Zeus und als Kunstschmied, der die anderen Gottheiten mit Waffen und Schmuck versorgte wurde er im benachbarten antiken Ort Olympos als Hauptgott verehrt. Die im unteren Teil des Flammenfeldes zu findenden Architekturfragmente deuten auf einen Hephaistos-Tempel hin, der hier von den Bewohnern von Olympos errichtet wurde. Dieser Tempel wurde aber, wie auch an anderen Orten, während des aufkommenden Christentums zerstört und durch eine kleine dreischiffige Basilika, die sich jetzt direkt unterhalb des Flammenfeldes befindet, ersetzt.
Oder doch ein geologisches Phänomen?
Heute weiß man, dass es sich bei den brennenden Steinen von Yanartas um ein geologisches Phänomen handelt. Aus Rissen, Felsspalten und kleineren Öffnungen eines felsigen Abhangs tritt ein
spezielles Erdgasgemisch aus, das sich beim Kontakt mit Sauerstoff selbst entzündet. Eine türkische Kommission analysierte in den 60er Jahren auf der Suche nach Erdöl das Gasgemisch und fand unter anderem geringe Anteile von Methan. Die genaue Zusammensetzung hat sich im Laufe der Jahrhunderte ebenso verändert wie der Austrittsort und die Stärke der Flammen. So erklärt sich auch, dass die Flammen in der Vergangenheit höher loderten als heute. Auch an Stellen wo keine Feuer brennt, würden sich durch ein Zündholz kleine Flammen entzünden. Die Menschen damals konnten sich das immerwährende Feuer auf einem Felsplateau nicht erklären. Und so lag über diesem Ort lange Zeit eine mystische Aura und selbst heute kann man sich bei einem Besuch der Magie dieses Schauplatzes nicht entziehen.
Die Wanderung zu Yanartas
Den imposantesten Eindruck bieten die Flammen nach Einbruch der Dunkelheit. Die Atmosphäre ist einzigartig: viele genießen ein Glas Wein, bereiten sich Spiegeleier über den Feuern zu oder genießen einfach die romantische Stimmung am natürlichsten Lagerfeuer der Welt. Etwa 5 km nordwestlich des Ortszentrums von Çirali kann diese Stimmung erlebt werden. Es führt ein idyllischer Pfad den bewaldeten Berg bis zum epochalen Schauplatz der Heldensaga hinauf. Nadelbäume säumen den Weg und spenden Schatten. Gerade während der heißen Sommermonaten
in der Türkei ist man über jeden Schattenplatz entlang des Weges dankbar. Nach einem 20-minütigen Aufstieg lichtet sich der Wald und ein felsiges Plateau breitet sich vor einem aus. Auf der Richtung scheint jegliche Vegetation gewichen zu sein. Nur nackter Fels ist zu sehen. Nachdem sich das Auge an das Szenario gewöhnt hat, nimmt man langsam an diversen Stellen dunkle Flecken
im Gestein wahr. Aus diesen züngeln Flammen unterschiedlicher Intensität. Ob nun durch die Sage inspiriert oder durch das geologische Phänomen beeindruckt, das Plateau der brennenden Steine von Yanartas ist einer der Orte auf der Welt, dem etwas Magisches anhaftet. Man möchte gerne glauben, dass es sich hier tatsächlich um das sagenumwobene, mythologische Schlachtfeld handelt, auf dem die Chimäre besiegt wurde.
Übrigens: Unter vorgehaltener Hand wird sogar noch heute gemunkelt, dass die Chimäre nicht wirklich getötet worden sei. Das göttliche Fabelwesen lebe unter dem harten Felsengestein und dessen Atem gelange noch heute an die Oberfläche und halte die Feuer am Brennen.
Bei unseren ASI Wanderreisen am Lykischen Weg besuchen wir diesen besonderen Schauplatz der Flammen.
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